Endlich wieder zu Hause

Mehr als vierzig Jahre nachdem ich meinen Stadtteil, in dem ich als Kind lebte und aufgewachsen bin, verlassen musste, bin ich an den Ort meiner Kindheit zurück gekehrt! Ich bin wieder da. Bin wieder zu Hause! Ich wohne nun zwar in einer anderen Straße, aber in eben demselben Stadtteil, der meine Kindheitserinnerungen so entscheidend geprägt hat, dass ich mich eigentlich nie wieder irgendwo richtig heimisch gefühlt habe – ich bin wieder in der Karlsruher Waldstadt. Und ich werde hier nicht wieder weg gehen, bis man mich, mit den Füßen zuerst, aus der Wohnung trägt!

Es hat sich nicht viel verändert. Und doch ist jetzt alles ganz anders, als ich es erinnere. Die Leute, die ich kannte, die Nachbarn, die Freunde, alle sind fort. Die Alten starben, die Jungen zogen weg und gründeten eigene Familien, irgendwo in Deutschland, wohin der Wind und die Arbeit sie verschlugen. Ich wünsche ihnen, dass es ihnen gut erging, dass sie Fuß fassen konnten und sich ein eigenes, neues Leben aufbauen konnten. So wie ich es auch tat. Nach ihnen kamen andere Leute, neue Familien, lebten hier, waren glücklich, oft aber auch nicht, liebten sich, trennten sich vielleicht, bekamen Kinder, zogen sie groß und starben oder wurden ins Altenheim abgeschoben, weil sich niemand mehr um sie kümmern konnte oder wollte!

Ein Teil der Häuser ist jetzt dick isoliert, um den neuesten Wärmeschutzverordnungen zu genügen und die Heizkosten zu senken. Die Fenster sind ebenfalls neu und zugfrei. Es gibt Fernwärme. Niemand muss mehr in den Keller hinunter rennen und täglich mehrere Eimer Kohlen herauf schleppen, damit die Bude im Winter nicht kalt wird.  Oder im Sommer der Ofen im Badezimmer. So gesehen ist der Fortschritt auch hier deutlich spürbar und das obwohl die Mieten hier noch bezahlbar sind! Natürlich sieht es nicht überall gleich komfortabel aus. Es gibt auch noch die Gebäude, an denen nichts, aber auch garnichts gemacht wurde. Nur dass statt der Kohleheizung nun Gasöfen in den Zimmern stehen haben. Aber durch die alten Fenster pfeift der Wind so kalt wie eh und je. Dort wohnen die Leute, die sich garnichts anderes leisten können und selbst über bautechnische Errungenschaften aus dem Ende der 50er Jahre noch heilfroh sind! Sozialer Wohnungsbau war eben nie Luxuswohnungsbau und damit für sogenannte Investoren auch völlig uninteressant.

Tief in meinem Inneren fühlte ich immer jenen Schmerz, der mich ergriffen hat, als meine Eltern 1973 mit uns Kindern fortgezogen sind, weil sie sich endlich ein eigenes kleines Häuschen leisten konnten und nicht länger in unserer 3-Zimmer-Sozialwohnung leben wollten, in der ich mir mit zwei Schwestern ein Kinderzimmer teilen durfte/musste. Dabei ging es uns noch gut. Unsere Nachbarn, fromme Katholiken, und dementsprechend fruchtbar und sich ständig vermehrend, hatten 5 Kinder und die Wohnung war auch nur so groß wie die unsere!

Meine eigenen Kinder sind zum großen Teil aus dem Haus. Eine Tochter wohnt mit der Enkelin in unmittelbarer Nähe und ich habe durch einen glücklichen Zufall, oder soll ich sagen durch eine glückliche Fügung eine schnucklige 3-Zimmer-Wohnung recht nahe bei meinem früheren Zuhause bekommen.

Wohnblock in Karlsruhe Waldstadt, Königsberger Str. 4, Foto: A. Ohlmeyer

Wohnblock in Karlsruhe Waldstadt, Königsberger Str. 4, Foto: A. Ohlmeyer

Dort, wo früher in jeder Straße eine Ladenzeile war, gibt es kaum noch Geschäfte. Dafür versuchen hier etliche Läden mit den Bedürfnisssen der Alten Geschäfte zu machen, obwohl die finanzielle Decke der meisten hier Lebenden nicht besonders dick sein dürfte. Hier lebten immer recht einfache Leute. Die es sich leisten konnten, zogen so bald wie möglich wieder weg von hier. Der Rest blieb und wurde alt. Naja, zwei Straßen weiter gibt es noch einen Bäcker und in der Nachbarstraße hat sich ein Discounter breit gemacht, damit sich die Leute mit Schnaps und ein paar Lebensmitteln eindecken können. Eine Pizzeria gibt es hier bei uns und in der andern Richtung zwei Straßen weiter sogar einen Dönerschuppen. Es ist also fast alles da, was man braucht um sich gepflegt mangel- und fehlzuernähren, wie man heute so schön zu sagen pflegt.

Die Autos sind dicker geworden seit damals. Das ist schon auffällig. Selbst im Süden des Stadtviertels, dort wo man früher einen sogenannten sozialen Brennpunkt lokalosierte (und den es aus irgend welchen unerfindlichen Gründen auch heute noch zu geben scheint) stehen relativ teure Autos in den Parklücken vor den Wohnblöcken. Früher, in den Sechzigern waren es vor allem VW Käfer, DKW, Opel und Ford, dazu eine Menge Messerschmitt Kabinenroller, Lloyd, und Heinkel Tourist, sowie Quickly von NSU und einige Hummeln von DKW. Heute stehen hier Mercedes, VW Passat, viele Japaner und ein paar Franzosen, aber alles relativ neu und nur wenige älter als zehn Jahre oder so.

Die Zeiten haben sich wirklich geändert. Es ist ein bisschen weniger Leben vorhanden. Aber das kann an dem ekligen feuchten und ungemütlichen Dezemberwetter mit ständig wechselnden Temperaturen liegen, vermutlich ist´s dem Klimawandel geschuldet und ich mag mich auch nicht wirklich beklagen. Mal sehen, wie sich das Leben hier im Frühjahr und Sommer entwickelt. Auf jeden Fall stelle ich mir den Sommer unter den hohen Laub- und Nadelbäumen, also quasi mitten im Wald, deutlich angenehmer und entspannter vor als die letzten Jahre direkt unter der sengenden Sonne und dem schrägen Dach meiner letzten erbärmlichen Behausung…

Ich werde weiter berichten vom Leben hier in der Karlsruher Waldstadt und von den Dingen, die ich hier noch so aus meinen Kinder- und Jugendzeiten finden und fotografieren kann.