Versandhandel und Kaufhäuser im Wirtschaftswunder

1. Versandhandel

Den Versandhandel, also das Auswählen von Waren aus einem Katalog, die Bestellung derselben und die anschließende Lieferung der bestellten Waren nach Hause, sowie das Bezahlen bar (Nachnahme), per Überweisung, oder auch auf Ratenkredit, ist keine wirklich neue Erfindung und auch nicht erst in der Wirtschaftswunderzeit entstanden. So etwas gibt es schon wesentlich länger. Aber ihre Blütezeit erlebte diese Form des Handels in den Jahren zwischen 1950 und etwa 1985.
Schon zur Zeit der Weimarer Republik waren Versandhäuser wie Pilze aus dem Boden geschossen und sie bestanden auch nach dem Zweiten Weltkrieg fort, expandierten, oder wurden neu gegründet.
Aus vormals kleinen Versandhandelsunternehmen wurden im Laufe der Wirtschaftswunderjahre gigantische Konzerne mit teilweise zehntausenden von Mitarbeitern. Gerade in den Jahren und Jahrzehnten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, als die Einkommen noch sehr niedrig waren, aber die Wünsche und Bedürfnisse der Menschen größer als die oft noch recht schmalen Geldbeutel, war es äußerst praktische, wenn man dringend notwendige Anschaffungen per Katalog und günstigem Kredit, dessen kleine Raten die Mutti fast unbemerkt aus dem streng eingeteilten Haushaltsgeld abzweigen konnte, ohne das es dem Herrn des Hauses auffiel, tätigen konnte.
Auch größere Güter, die immer dringender benötigt wurden, wie z. B. den ersten Kühlschrank, die erste Waschmaschine, vielleicht sogar solch unglaublichen Luxus wie einen Fernseher oder ein schickes Röhrenradio, konnte man auf diese Weise anschaffen. Und der Bedarf war ungeheuer groß! Der Wunschtraum von der gemütlichen Wohnung, mit schicker, moderner Einrichtung, war damals wie heute (wieder) ungebrochen und viele Menschen hatten ja in den Kriegsjahren und den harten Jahren nach der Kapitulation nahezu alles verloren.
Ich erinnere mich gut an meine Kindheit, wenn die Aufregung meiner Mutter wuchs weil die Ankunft des neuen Quelle-Katalogs anstand. Und wenn der Postbote das (in späteren Jahren ziemlich) schwere Teil endlich brachte, sassen wir alle am Abend um den Wohnzimmertisch herum, die Eltern in den beiden Cocktailsesseln, wir Kinder (meine Schwester und ich) auf dem Cannapé, das Röhrenradio spielte Schlager und wir betrachteten aufgeregt die Wunderwelt des Konsums und stellten uns vor, was wir uns alles kaufen würden, wenn wir nur das nötige Kleingeld dazu gehabt hätten.
Wir konnten uns nicht satt sehen und es war schon eine Freude, die Dinge, die wir uns nicht leisten konnten, wenigstens in Gedanken zu besitzen und sei es nur in Form eines großen, bunten Katalogs mit dem Namen Quelle vorne drauf!
Und der dicke Quellekatalog inspirierte uns natürlich immer beim Schreiben unserer Wunschzettel zu Weihnachten. Ja, wir wussten schon, dass wir uns wünschen konnten, was wir wollten. Das Christkind aber hatte meist ganz eigene Pläne und es orientierte sich immer am Einkommen unseres Vaters, der als junger Ingenieur anfangs nicht besonders üppig verdiente, aber letzten Endes waren wir immer zufriden mit unseren Geschenken, die zwar bescheiden ausfielen, aber von ganzem Herzen kamen und besonders unsere liebe Mutter hatte ein ganz großes Herz!
Irgendwann in den 90er Jahren begann das Versandhandelsgeschäft zu kriseln. Die Märkte waren gesättigt, ja übersättigt und die Menschen mussten nicht mehr jeden Pfennig so lange herum drehen bis daraus ein Kupferdraht geworden war, bevor sie ihn dann endlich ausgaben. Für ein Auto sparte man nicht mehr jahrelang, man leaste es, oder finanzierte es komplett, so dass es schließlich, wenn es einem endlich gehörte, rostzerfressen auseinader fiel, oder bereits zeitig, nach einem (natürlich „unverschuldeten“) Verkehrsunfall, den schweren Weg in die Schrottpresse antreten musste.
Die meisten großen Unternehmen verliessen sich auf eben ihre Größe und vergaßen es, sich dem Wandel der Zeiten anzupassen, sich mit neuen Vertriebswegen wie dem Internet auseinander zu setzen und mussten schließlich die Werkstore schließen. Ihren Inhabern aber ließ das keine grauen Haare wachsen, die hatten sich schon ihre Taschen gefüllt und saßen auf dicken finaziellen Polstern und Bankguthaben.
Das genaue Gegenteil traf auf die vielen Beschäftigten zu. Die verloren zu zehntausenden ihre Jobs und wurden in die Arbeitslosigkeit entlassen, ohne große Hoffnung je wieder einen ordentlichen Job zu kriegen. Spätestens das Ende des Wirtschaftswunders war auch der Anfang vom Ende so vieler bedeutender großer Unternehmen in allen möglichen Branchen. Heute stehen wir vor einer neuen Zeitenwende, vor einer beispiellosen Globalisierung von Handel, Dienstleistungen und Konzernen. Und denen geht es immer noch sehr gut.
Was uns kleinen Leuten aber heute einfach fehlt, ist ein neues Wirtschaftswunder – mehr als 40 Jahre nach dem Ende des letzten richtigen Wirtschaftswunders!
Besonders bekannt wurden in der Wirtschaftswunderzeit die Versandhandels-Unternehmen Otto (gegr. 1949 Hamburg), Quelle (gegr. 1927 in Fürth, war der Gigant unter den Versandhäusern), Neckermann (gegr. 1950 Frankfurt am Main), Bader (gegr. 1929 Pforzheim) und Heine (gegr. 1951 Karlsruhe, 1976 Übernahme durch Otto-Versand), Wenz (gegr. 1926), Klingel (gegr, 1920 Pforzheim), Baur (gegr. 1925 Burgkunstadt), Schöpflin (gegr. 1948 Lörrach) und Schwab (gegr. 1954 Hanau). Für alte Kataloge aus den 50er und 60er Jahren zahlen Sammler heute bereits erkleckliche Sümmchen und ehrlich gesagt, ich kann sie gut verstehen!

Ende der 90er Jahre wirkte das Konzept der Versandhäuser – auch vom gekünstelt wirkenden und wenig zeitgemäßen Internetauftritt her – nicht nur angestaubt, sondern geradezu verknöchert. Davon sprechen allein schon die biederen Markenlogos eine beredte Sprache. Man konnte isch des Eindrucks nicht erwehren, als seien Versandhäuser nur noch dazu da, um gebehinderte Senioren mit dem Krempel per Post zu versorgen, den sie sich in den ebenfalls abgehalfterten Kaufhäusern nicht mehr persönlich kaufen konnten. Und so orderten die treuen Rentner und -Innen eifrig Mieder, Stützstrumpfhosen, Konserven und Faltenröcke, nebst elektrisch angetriebenen Behindertefahrzeugen. Aber das reichte natürlich bei weitem nicht aus, um die Unternehmen in der vorhandenen Größe überleben zu lassen – und also kam das grausige Ende!

2. Kaufhäuser

Ein weiteres typisches Symbol des Wirtschaftswunders ist das gute alte Kaufhaus. Genau wie der Versandhandel, war auch das Kaufhaus keine wirklich neue Erfindung und schon im berlin der Kaiserzeit gab es Kaufhäuser, in denen sich die Reichen und Schönen tummelten und ihr Geld ausgaben. Aber genauso wie der Versandhandel erlebten auch die Kaufhäuser knapp zwei Jahrzehnte nach dem Ende der Wirtschaftwunderzeit einen zunächst schleichenden, dann aber immer rasanter ablaufenden Niedergang, der aus den Konsumtempeln in den besten Lagen der Innenstädte oftmals leerstehende, zerbröckelnde und ungenutzt vergammelnde Schrottimmobilen werden ließ, die kein Investor erwerben wollte!
Auch hier wurden Trends verschlafen, trafen die Inhaber und Manager verhängnisvolle Fehlentscheidungen, glaubte man allen Ernstes, die Zeiten würden sich niemals ändern und die Geschäfte immer so weiter laufen, wie in den besten Jahren des Wirtschaftswunders. Spätestens mit dem Fall des Eisernen Vorhangs erwies sich dieser Glaube als Illusion und wie überall, mussten die Beschäftigten dafür bezahlen, nicht die Verursacher und die Profiteure.
Kaufhäuser, besonders die großen und luxuriösen, wurden und werden auch noch heute gern als Mittel der Propaganda, der psychologischen Kriegsführung, eingesetzt. Ein Beispiel dafür ist das Kaufhaus KaDeWe (auf gut deutsch Kaufhaus des Westens), seit 1905 in Berlin ansässig, das nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs als Schaufenster westlichen Luxuslebens nach Osten hin wirken sollte und den Bürgern der DDR, die damals noch Ostzone hieß, den Mund wässrig nach den „Errungenschaften“ kapitalistischen Konsums zu machen (deren Markenartikel freilich meist im Osten, von zarter Sklaven- und Zwangsarbeiterhand, hergestellt und im Westen für teures Geld an den Mann und die Frau gebracht wurden).
In jeder größeren Stadt gab es und gibt es teilweise noch heute eines oder mehrere dieser Konsumtempel, die zu Hochzeiten des Wirtschaftswunders tagtäglich von tausenden und abertausenden von konsumbesessenen Menschen besucht wurden, die durch die heiligen Hallen dieser Scheinwelt aus Glanz und Glitter strömten. Heute stehen viele dieser einst an Paläste erinnernden Häuser leer, werden nur teilgenutzt, oder gammeln einfach vor sich hin – als Mahnmal des wahnhaften Glaubens vom immer währenden Wachstum! Aber gleich daneben, in den zentren nahezu jeder Mittel- und Gro´stadt, aber zunehmend auch in Kleinstädten, entstehen neue Shopping-Malls (wie das so unschön und in anglisiertem Neudeutsch genannt wird. Große Zentren, unter deren Dach einzene Geschäfte auf- und zumachen, wie eine Auster die Schale. Wer keine Umsätze macht, kann die teuren ladenmieten nicht bezahlen und macht eben bald wieder dicht! Die Betreiber der Malls tragen kaum ein Risiko, dafür aber die Ladenbesitzer. Und deswegen hat da auch kaum noch ein Einzelhändler eine Chance. Wie üblich und mittlerweile bereits gewohnt, machen sich überall Filialen großer Ketten breit und sorgen dafür, dass es in der einen Stadt genauso aussieht, wie in jeder anderen Stadt. Die kapitalistisch-globalisierte Beliebigkeit macht sich breit, wie der schwarze Tod im finsteren Mitellalter in Europa!

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